Albert-Schweitzer-Schule / Mörfelden-Walldorf

Leben Peter Klinglers

Am 2. Oktober wurde an der Schulmauer eine Gedenktafel für den Peter Klingler gesetzt.

Hierzu hielt Hans Jürgen Vorndran folgende Rede:

 

Rede aus Anlass der Ehrung von Peter Klingler mit einer Erinnerungstafel an der Albert-Schweitzer -Schule in Mörfelden am 2. Oktober 2012

 

Sehr geehrter Herr Landrat Thomas Will, Herr Bürgermeister Heinz-Peter Becker, Herr Stadtverordnetenvorsteher Werner Schmidt, Frau Rektorin Barbara Prestel,

sehr geehrte Familie Klingler,

werte anwesende Mitstreiter,

 

Peter Klingler, ehemals Lehrer und Bürgermeister in Mörfelden, der heute mit einer Erinnerungstafel an seiner Wirkungsstätte von 1915 bis 1925 und dann von 1931 bis 1933 geehrt wird, war „ein Mensch mit Ecken und Kanten“, wie es ein Zeitzeuge treffend formuliert hat. Er hat sowohl als Pädagoge wie als Bürgermeister das Ortsgeschehen seiner Gemeinde nachhaltig geprägt und sich bleibende Verdienste erworben.

 

Lassen Sie mich versuchen, seine Lebensgeschichte darzustellen, wie ich sie aus den mir zugänglichen Unterlagen und Zeitzeugengesprächen ermitteln konnte. Grundlage meiner Recherchen war ausschließlich die Diskussion im Kreistag zur Umsetzung des Kunstprojekts Gunter Demnigs „Stolpersteine gegen das Vergessen“ in kreiseigenen Liegenschaften.

 

Nach dieser notwendigen Vorbemerkung nun zu Peter Klingler selbst:

 

Peter Klingler wurde am 25. September 1889 in Klein-Gerau geboren. Er war das zweite Kind des Schneidermeisters Peter Klingler und seiner Ehefrau Elisabeth geb. Kreuzer. Peter hatte drei Brüder: Heinrich, Jakob und Philipp.

 

Peter Klingler besuchte die Volksschule in Klein-Gerau und schloss dann die „Höhere Bürgerschule“ in Groß-Gerau mit Erfolg ab, was mit der „Mittleren Reife“ vergleichbar ist. Anschließend wurde er in der Lehrerbildungsanstalt in Bensheim ausgebildet, die er mit „im Ganzen gut“ beendete. Seine erste Stelle als Lehrer und sog. Schulaspirant erhält er im April 1908 mit 19 Jahren in Wolfskehlen. Im Mai 1910 legt er die Staatsprüfung ab. Wegen politischer Äußerungen, das war nicht opportun im damaligen Obrigkeitsstaat,  musste sich Klingler vor der Großherzoglichen Schulkommission in Groß-Gerau rechtfertigen. Auch die Eingaben der Mitglieder des SV Wolfskehlen, dessen Vorsitzender er war, für den „allseits beliebten Lehrer“ blieben ohne Erfolg. Im August 1914 wird er an die Volksschule in Dannenrod (Kreis Alsfeld) „strafversetzt“. Erst durch seine Eingaben an das Ministerium und die Schulkommission gelang es ihm, eine freie Stelle im Kreis Groß-Gerau zu erhalten. Im Juli 1915 wird Peter Klingler als Lehrer nach Mörfelden an die Volksschule in der Querstraße, der so genannten Feldschule, mit einem Jahresgehalt von 1.100 Mark nebst freier Wohnung abgeordnet.

 

Im Juni 1917 erfolgt seine Einberufung zum Militärdienst. In der Folge wird er jedoch wiederholt vom Heeresdienst befreit.

 

Ende 1918 kommt es zu einer Auseinandersetzung mit dem Ortspfarrer Becker, weil er an einem Sonntag mit Teilen der Klasse auf freiwilliger Basis in Darmstadt ein Museum besucht hat. Dies wird von Pfr. Becker als „Schulausflug am Sonntag“ bewertet und Klingler muss der Kreisschulkommission Bericht erstatten.

 

Im Herbst 1920 geraten Rektor Spieß und Lehrer Klingler aneinander. Die Auseinandersetzung mündet in eine Beschwerde Klinglers wegen der „Schulverhältnisse in Mörfelden“ und Spieß stellt Strafantrag wegen Beleidigung. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren nach Rücknahme des Strafantrags im Oktober 1922 ein. Der Konflikt schwelt offensichtlich weiter. Es folgen weitere Verfahren vor dem Amtsgericht Groß-Gerau, ohne dass es zu einer Verurteilung kommt. In der Folge versetzt das Hessische Landesamt für Bildungswesen den Lehrer Peter Klingler im Februar 1924 in den einstweiligen Ruhestand. Auch der Schulvorstand spricht sich gegen eine erneute Anstellung Klinglers aus. Dennoch findet Klingler ab September   wieder Verwendung als Lehrer in Mörfelden. Die Hintergründe hierzu waren nicht zu ermitteln.

 

Am 9. Januar 1922 heiratet Peter Klingler in Mörfelden Charlotte Knöß, die als Minderjährige der Zustimmung ihres Vaters zur Eheschließung bedurfte. Die Ehe endete im „Unfrieden“ und wird 1925 vor dem Landgericht in Darmstadt geschieden.

 

Politisch engagiert sich Klingler in der SPD. 1919 wird er Beigeordneter und damit Vertreter des Bürgermeisters. Wegen Krankheit ist Bürgermeister Acker seit Juli 1924 beurlaubt. Die Mörfelder Volksschule war in der Weimarer Republik stark in Weltanschauungskämpfe involviert, wobei das politische und gesellschaftliche Leben vor allem von der KPD und SPD bestimmt wurde. So lehnte die Gemeinschaft proletarischer Freidenker die Lesebücher und das Schulgebet ab. Wegen seiner Rolle als einer der führenden Köpfe der Freidenkergemeinde wurde Klingler von dem Landesamt für Bildungswesen im November 1924 mit sofortiger Wirkung beurlaubt und erneut in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Sein Berufsverbot verstanden die Mörfelder als provozierende politische Maßregelung. Es kam zum Schulstreik, der mit Schul(Geld)strafen für die Beteiligten endete. In seiner Funktion als Beigeordneter und amtierenden Vertreter des Bürgermeisters erhielt Peter Klingler vom Kreisamt Groß-Gerau zudem einen förmlichen Verweis, da er als Leiter der Gemeinde und oberste Polizeibehörde nicht eingegriffen und mit dem Streikenden sympathisiert habe.

 

Am 25. Oktober 1925 wird ein neuer Bürgermeister gewählt. Die Wahl gewinnt Peter Klingler (SPD) mit 55 % der Stimmen aus dem Lager von SPD und KPD gegen den bürgerlichen Kandidaten Stadtsekretär Friedrich Ludwig Siegel. Er tritt sein Amt im Januar 1926 an. Trotz Wirtschaftskrise sind die kommunalpolitischen Erfolge Klinglers beachtlich: Wasserleitungsbau, Wasserwerk, Wasserturm, Waldschwimmbad und Waldfriedhof entstanden in dieser Zeit. Auch das Warmwasserbrause- und Wannenbad in dieser Schule wird 1929 in Betrieb genommen. Hinzu kommen Verwaltungsverbesserungen, wie eine komplette Registratur sowie Einwohner-, Wahl- und Wohlfahrtskarteien und getrennte Sprech- und Arbeitsstunden.

 

Mit der Kommunalwahl im November 1929 veränderten sich die Mehrheitsverhältnisse sehr erschwerend für die Arbeit von Bürgermeister Klingler. Im Gemeinderat sind jetzt 6 Kommunisten, 5 Sozialdemokraten und 4 bürgerliche Vertreter (Gemeinwohl), was in der Folge zu einer destruktiven Verhinderungspolitik der Kommunisten, aber auch der Bürgerlichen führt. 1931 verschärfen sich die Auseinandersetzungen zwischen der kommunistischen Gemeinderatsfraktion und dem sozialdemokratischen Bürgermeister. Während das Protokollbuch vorher durchgängig einstimmige Beschlüsse des Gemeinderats verzeichnet, gab es ab März kontroverse Abstimmungen, Vertagungen von Personalentscheidungen, Protokollnotizen und Beantragung von Dringlichkeitssitzungen zu Gemeindesteuern, Sozial- und Kleinrentnern, Gemeindewiesen oder Notstandsarbeiten durch die Kommunisten. Im Juni wird eine öffentliche Gemeinderatssitzung wegen Störungen abgebrochen und nichtöffentlich fortgesetzt. Die darauf folgende Sitzung ist wegen Fernbleiben der Kommunisten nicht beschlussfähig. Im Oktober folgt als Höhepunkt der Auseinandersetzungen eine Beschwerde der Kommunisten beim Kreisamt Groß-Gerau wegen der Ablehnung der Dringlichkeitssitzungen durch den Bürgermeister.

 

In der am 27. September 1931 anstehenden Bürgermeisterwahl erhielten weder Peter Klingler (SPD) mit 42,6 % noch Georg Zwilling (KPD) mit 39,7 % der Stimmen eine Mehrheit. Bei diesem Stimmenverhältnis verzichtete Peter Klingler auf eine Weiterverfolgung seiner Kandidatur und kehrte in den Schuldienst zurück. Denn „er war des ewigen Kampfes gegen die Kommunisten satt und resignierte“, so sein Sohn Dr. Herbert Klingler. In der notwendigen Neuwahl und der anschließenden Stichwahl  setzte sich Georg Zwilling schließlich mit 56,1 % Stimmen durch und wurde der erste kommunistische Bürgermeister Hessens.

 

Peter Klingler wohnte zu dieser Zeit zur Miete in der Weingartenstraße 15 bei den Eheleuten Anna und Konrad Rieder - seinen späteren Schwiegereltern - die aus Frankfurt zugezogen waren. Denn am 9. August 1932 heiratete Peter Klingler, inzwischen 43 Jahre alt,  seine ehemalige Schülerin Elisabethe Rieder. Ihr Sohn Herbert wird am 26. Juni 1933 geboren. Die Familie konnte ihr neu errichtetes Haus in der Stockhausenstraße 14 beziehen.

 

Doch der Rückzug ins Private bleibt nicht lange ungetrübt. Im März 1933 weht die Hakenkreuzfahne auch über dem Mörfelder Rathaus. Reichskommissar Müller hat die Polizeigewalt in Hessen übernommen. Der Nazi-Terror beginnt. Kommunisten werden in das KZ Osthofen verschleppt. Der politisch missliebige, sozialdemokratische Lehrer Peter Klingler wird am 29. April 1933 „mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres beurlaubt“ und am 27. Juni 1933 schließlich aus dem Hessischen Schuldienst wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ entlassen. Grundlage ist das Nazi-Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Er erhält ein gekürztes Ruhegehalt von 1.767 RM jährlich, das rd. 44 Prozent seines bisherigen Gehalts entspricht.

 

Klingler wehrt sich gegen diese Maßnahme. Klingler schreibt an den Minister und spricht mehrfach beim Kreisschulrat Pg. Born vor, der Stellungnahmen beim Ortsgeistlichen Becker, Bürgermeister Geiß und Rektor Rettig einholt. Alle halten ihn für einen fähigen Menschen, aber auch für den Führer der Linksbewegung. Und der Pfarrer kommt zu dem Schluss: „Wenn er (Klingler) in seinem Bericht von seinem Gesinnungswandel Kunde gibt, so scheint mir diese Zeit der Umkehr und Einkehr und Besinnung reichlich kurz bemessen zu sein.“ Sein Gesuch vom 13. September um Wiederbeschäftigung als Lehrer wird schließlich im November von einer Kommission unter dem Vorsitz des NSdAP-Kreisleiters Stavinoga mit dem Hinweis abgelehnt, dass Klingler nach einer weiteren Probezeit seinen Antrag erneuern könne.

 

Anfang 1936 wendet sich Klingler an den Stellvertreter des Führers mit der Bitte um Nachprüfung und Aufhebung seiner Dienstentlassung. Der Kreisleiter Savinoga fordert erneut einen Bericht beim Schulrat Born an. Born schreibt im April an die NSdAP-Kreisleitung. „ ...In den letzten 3 Jahren hat er mich des Öfteren aufgesucht und mir u.a. immer wieder auseinandergesetzt, wie er sein Bürgermeisteramt geführt hat, wie er im Streit mit den Kommunisten lag...“ und kommt zu dem Schluss: „...dass Klingler ein geistig fähiger Mensch ist, der sich viel mit politischen sowohl als auch weltanschaulichen Fragen beschäftigt, der von der Seite des Wissens her den Nationalsozialismus kennt. Ich habe...den Eindruck, dass er ein zäher Kämpfer für seine eigene Sache ist, ein Mann, der den Kampf nie abbrechen wird.“

 

Die Bemühungen Klinglers hatten zumindest finanziellen Erfolg. Im Juni 1937 wird die Entlassung in eine Ruhestandsversetzung umgewandelt. Dadurch erhöhen sich seine Ruhestandsbezüge auf 3.961 RM jährlich.

 

Peter Klingler ist in der Zeit von 1933 bis 1945 ohne Arbeit. Er lebte mit seiner Familie in seinem Haus in der Stockhausenstraße  und nutzte seinen großen, mit Obstbäumen bestandenen Garten. Er galt als sparsam. Gelegentlich erhielt er von seinen Verwandten in Klein-Gerau Lebensmittel. Darüber hinaus gab er Nachhilfestunden. In den letzten Kriegsjahren entzog er sich einer Dienstverpflichtung in dem er ohne Bezahlung in einer Frankfurter Firma arbeitete. Ab 1944 war er sonntags dienstverpflichtet und musste bei den Schießübungen Buch führen. Sein Motorrad, eine NSU, wird im Herbst 1944 beschlagnahmt.

 

Am 26. März 1945, einen Tag nach der Befreiung Mörfeldens, wird Peter Klingler von amerikanischen Offizieren kommissarisch als Bürgermeister eingesetzt. Der Neuaufbau begann mit einem versierten Kommunalpolitiker, der in der Zeit während der beginnenden Weltwirtschaftskrise in seiner ersten Amtszeit wertvolle Erfahrungen gesammelt hatte, die er nun in der Zeit der folgenden Notjahre nutzen konnte. Erst ein Jahr später, im März 1946 wird Klingler zum ersten Bürgermeister der Nachkriegszeit gewählt; und zwar rückwirkend zum 15. Dezember 1945. Das Amt übte er bis 1947 unentgeltlich aus, da er ein Ruhegeld als ehemaliger Lehrer bezog.

 

Neben der allgemein herrschenden Not galt es bis Juli 1947 die 1.500 Flüchtlinge einzugliedern und mit Wohnraum zu versorgen. Eine gewaltige Integrationsleistung. Die Infrastruktur war der gewachsenen Einwohnerzahl anzupassen. Wobei der letzte größere Bau in der Ära Klingler dem früheren Pädagogen ein Herzensanliegen war. Die Steinwegschule wurde im Frühjahr 1953 eingeweiht und erhielt später seinen Namen. Klingler war trotz seiner Erfolge und der beginnenden Hochkonjunktur auf Grund seiner leidvollen, früheren Erfahrungen ein vorsichtiger Mann. Er wollte keine Experimente. Eine Industrieansiedlung lehnte er ab. Mörfelden sollte eine „Arbeiterwohnsitzgemeinde“ bleiben.

 

Bereits 1947 lässt Peter Klingler für den letzten Vorsteher der jüdischen Gemeinde Mörfeldens Simon Schott einen Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Darmstadt setzen. Zu Simon Schott bestand ein gutes Verhältnis, das nach dem Kriege mit der Tochter Erna Strauß geb. Schott, die mit ihrem Mann Max und den Kindern Kurt und Ruth 1940 in die USA geflohen war, fortgesetzt wurde. Sie schickte nach dem Krieg einige „Care“-Pakete. Erna Strauß war auch einige Male in Mörfelden und nach dem Tode von Peter Klingler besuchte seine Ehefrau Elisabethe die Familie Strauß in New York.

 

Peter Klingler stellt im März 1950 einen Antrag zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Im Mai 1955 wird er als Verfolgter im Sinne des § 1 BEG (Entschädigungsgesetz) anerkannt und ihm wird ein Betrag von DM 840,93 wegen eines Schadens im wirtschaftlichen Fortkommen zugesprochen.

 

Mitten in der Arbeit stirbt Peter Klingler mit knapp 67 Jahren am 1. Juli 1956. Er hatte sich große Wertschätzung in der Bevölkerung erworben. So sagte ein Zeitzeuge: „Peter Klingler war ein Mann mit Ecken und Kanten. Für sein Mörfelden hat er sich immer sehr eingesetzt. “

 

 

 

18.Sept.2012 hjv